Christliche Migration in der Schweiz: Wissenschaft und Pastoral im Dialog – Zwei SPI-Publikationen zu christlicher Migration

9. Jan. 2020

Am 5. Dezember 2019 konnte das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut (SPI) einem interessierten Publikum neue Forschungsergebnisse zum Thema «Migration und Religion» präsentieren.

Das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut (SPI) befasst sich seit mehreren Jahren mit dem gesellschaftlich und kirchlich relevanten Thema. Von 2015 bis 2019 wurden im Rahmen einer qualitativen Forschung christliche Migrantinnen und Migranten befragt.

Im Zentrum der Untersuchungen stand die Frage, welche Rolle das Religiöse im Leben von christlichen Migrantinnen und Migranten spielt – insbesondere bei der Bewältigung ihres Alltags und bei der Verarbeitung ihrer Migrationserfahrungen. Dabei wurde das Religiöse von zwei Seiten betrachtet: in seiner Dimension des individuellen Glaubens sowie in der Dimension der religiösen Gemeinschaft.

Die Ergebnisse der Forschung liegen nun in zwei Publikationen vor:

Eva Baumann-Neuhaus

Glaube in Migration – Religion als Ressource in Biographien christlicher Migrantinnen und Migranten

Simon Foppa

Kirche und Gemeinschaft in Migration – Soziale Unterstützung in christlichen Migrationsgemeinden

Bevor die Autorin und der Autor dem Publikum ihre Studienergebnisse vorstellten, verortete Prof. Dr. Samuel Behloul die Thematik «Religion-Migration» in den Kontext gesellschaftlicher und globaler Dynamiken. Er verwies auf das Zusammenspiel von Religion und Migration und legte dar, wie die zugewanderten Religionen das Selbstverständnis des säkular-liberalen Staates, aber auch die religiöse Landschaft der Schweiz verändern.

„…Migration als treibende Kraft der Religionsgeschichte hat im Laufe des Christentums und der Islamgeschichte weder zu einem homogenen Einheitsmodel des Christentums oder des Islam noch zu einer Konservierung eines Anfangs- oder Urmodells der beiden Religionen geführt. Das Ergebnis ist vielmehr die Vielfalt.
Gemessen an der Emotionalität öffentlicher Debatten über Religion im Kontext der Migration scheint diese neue Religionsvielfalt Sand im Getriebe einer säkular-liberalen Integrations- und Akzeptanzmatrix zu sein…“ (siehe Referate/Responses unten)

Die Autorin und der Autor der Bücher referierten anschliessend über die Bedeutung der Religion im Leben der befragten Migrantinnen – einmal aus der Perspektive der Religion als subjektiv nutzbares Orientierungs- und Sinnsystem, einmal aus der Perspektive der Religion als soziale Kraft und Unterstützung.

Eva Baumann-Neuhaus zeigte, wie Migrantinnen und Migranten im Rückgriff auf religiöse Narrative und Deutungsmuster und im Schutz religiöser Gemeinschaften ihre Migrationserfahrungen verarbeiten. Sie deutete an, dass die religiöse Herkunft und Sozialisierung einer Person, aber auch ihre Migrationsgeschichte und ihr Frömmigkeitsstil einen Einfluss haben auf die Art und Weise, wie sie ihre Religiosität im Alltag nutzt und ausdrückt.

„…Gerade in Zeiten von Veränderung, Unsicherheit und Ungewissheit, die geprägt sind von Brüchen und Erfahrungen der Unverfügbarkeit des Lebens, kann Religion eine ordnungsgenerierende, stabilisierende und empowernde Kraft entfalten. Im Rückgriff auf Transzendenz bietet sie Formen der Verarbeitung solcher Erfahrungen an und ermöglicht Orientierung und Sinn, wo Orientierung und Sinn abhanden gekommen sind…“ (siehe Referate/Responses unten).

Simon Foppa sprach zur Bedeutung von sozialen Netzwerken für Menschen in Zeiten von Veränderung und Ungewissheit. Gerade Migrationsgemeinden erbringen für die Betroffenen vielfältige Unterstützungsleistungen und helfen ihnen so, im neuen Umfeld Fuss zu fassen. Weiter referierte er darüber, wie Menschen Zugang zu einer solchen Gemeinschaft und ihren Ressourcen erhalten – aber auch, warum manchen dieser Zugang nicht gelingt.

„…Religiöse Migrationsgemeinden sind oft genau auf diese Bedürfnisse von Migranten ausgerichtet. Sie stellen Zuwanderern materielle, informationelle, emotionale, soziale und spirituelle Unterstützung zur Verfügung. Schliesslich bestehen sie ja selbst aus Migranten, die bereits ähnliche Erfahrungen durchgemacht haben …“ (siehe Material Referate/Responses unten).

Auf die wissenschaftlichen Darstellungen folgten schliesslich vier Rückmeldungen von Vertreterinnen und Vertretern der katholischen und reformierten Kirchen sowie der Arbeitsgemeinschaft interkulturell der Schweizerischen Evangelischen Allianz. Sie alle bestätigten aus ihrer je eigenen Perspektive und Erfahrung die Forschungsergebnisse und wünschten sich eine breite Rezeption der vorgestellten Publikationen, damit:
• binnenkirchlich das Verständnis für die vielfältigen Ausdrucksweisen und Sozialformen des Christlichen wachsen kann.
• die Seelsorgenden für die Bedürfnisse und Potentiale zugewanderter Menschen sensibilisiert werden.
• Behörden und weitere Bereiche der Gesellschaft die Rolle der Migrationsgemeinschaften bei der Integration der Zugewanderten erkennen.

Die PDFs zu den Echos von Christiane Schubert, Dinah Hess, Johannes Müller finden Sie unten bei Referaten/Responses.

Die Referentinnen und Referenten trugen durch ihre unterschiedlichen Perspektiven einem vielschichtigen Thema Rechnung und stellten mit ihren Reflexionen die Studienergebnisse in einen grösseren Zusammenhang.

Doch es wurde nicht nur geredet. Der Saxophonist Peter Lenzin begeisterte das Publikum mit seinen musikalischen Interventionen und schuf so die Möglichkeit, über das Gehörte nachzudenken.

Die anschliessende Fragerunde und die angeregten Gespräche beim Apéro machten deutlich, dass das Thema die Gemüter bewegt.

Das SPI wird mit der abgeschlossenen Studie das Thema nicht «ad acta» legen, sondern bemüht sein, die gewonnenen Erkenntnisse für die kirchliche Praxis weiter nutzbar zu machen.

Gerne unterstützen wir auch Sie mit unserem Fachwissen. Melden Sie sich einfach mit ihrem Anliegen bei uns: info@spi-sg.ch

Die Vorträge und Responses zur Vernissage finden Sie hier:

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